Die Neutralität im Friedensprojekt Europäische Union

Die Gründungsidee der EU

Die Präambel zum Vertrag über die Europäische Union (EUV) fasst die Gründungsidee der Europäischen Union (EU) in klare Worte. Die EU ist entschlossen, die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern. Der Artikel 3 EUV lautet: „Ziel der Union ist es den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“.

Der EUV verpflichtet die EU zur Achtung der Grundsätze der Vereinten Nationen und des Völkerrechts. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 war eine Bestätigung ihrer Ausrichtung auf Frieden und Völkerverständigung, denn die Arbeit der EU repräsentiert „Bruderschaft zwischen den Nationen“ und entspricht einer Form von Friedenskongress, wie Alfred Nobel dies als Kriterium für den Friedenspreis 1895 in seinem Testament umschrieben hat.

Die Neutralität in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik

Als Österreich 1989 den Antrag zum Beitritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) stellte, hat es auf einen Vorbehalt in Bezug auf seine Neutralität verzichtet. In der Erklärung anläßlich der Überreichung des Beitrittsansuchens stellte Außenminister Alois Mock fest: „Die Neutralität Österreichs ist sein spezifischer Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa - ein Beitrag, der seine Entsprechung in der Präambel des EWG-Vertrages findet und die lautet: "Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“.

Als dann 1995 der Beitritt zur EU erfolgte, hat sich Österreich in einer „Gemeinamen Erklärung“ dazu bekannt, sich in vollem Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP), so wie sie im EUV definiert ist, zu beteiligen. Um mögliche Unvereinbarkeiten der Neutralität mit der GASP und der Gemeinsamen Sicherheit-und Verteidigungspolitik (GSVP) zu vermeiden, hat Österreich überdies 2010 den Artikel 23j BVG in die Bundesverfassung aufgenommen. Mit diesem Artikel wurde eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage für die Teilnahme an der GASP/GSVP geschaffen, die dem Neutralitätsgesetz, juristisch ausgedrückt, derogiert. Die Neutralität wird also teilweise zu Gunsten der Mitwirkung an der GASP außer Kraft gesetzt. Österreich kann aus diesem Grund an polizeilichen und militärischen Aktivitäten der EU, sowie an Wirtschaftssanktionen mitwirken.

Der Artikel 23j B-VG weist darauf hin, dass der EUV die Achtung der Grundsätze der Vereinten Nationen vorsieht. Österreich muss daher darauf bestehen, dass die GASP bei ihren Maßnahmen die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen achtet. Sollte das nicht der Fall sein, kann sich Österreich von der Mitwirkung enthalten oder dagegen Stimmen. Deshalb muss die Eistimmigkeit in der GASP bleiben, denn Ihre Abschaffung wäre das endgültige Ende der Neutralität.

Der Artikel 23j sieht außerdem vor, dass es zur Entsendung von Einheiten oder einzelner Personen in das Ausland noch der in Österreich verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren bedarf. Das österreichische Entsendegesetz setzt für die Entsendung ein Mandat der Vereinten Nationen voraus. Diese Rechtslage ist mit der Neutralität vereinbar.

Sie darf auf keinen Fall geändert werden.

Die Irische Klausel

Der Artikel 42 EUV enthält Bestimmungen für die GSVP, die ein integraler Bestandteil der GASP ist. Die Union kann auf die zivilen und militärischen Fähigkeiten der GSVP bei Missionen außerhalb der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zugreifen. Im Falle eines Angriffes auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.

Die Beistandspflicht lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten unberührt. Durch diese sogenannte „Irische Klausel“ kann Österreich selbst entscheiden, auf welche Weise es Beistand leistet. Der besondere Charakter der NATO Staaten wird ebenfalls berücksichtigt. Zitat: „Für die NATO Staaten sind die im Rahmen der NATO eingegangenen Verpflichtungen, weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung“. So gesehen stellt die EU keinen eigenständigen Verteidigungsraum dar.

Ihre Abhängigkeit von der NATO sieht man ziemlich augenfällig in der Ukraine Politik der EU, bei der eine Unterscheidung zwischen NATO und EU nicht mehr erkennbar ist.
Deshalb stellt der Artikel 42 EUV, trotz Irischer Klausel, die österreichische Neutralitätspolitik vor schwierige Entscheidungen.

Die verlorene Zeitenwende zum Frieden

Die Zeitenwende zum Frieden kündigte sich bereits im kalten Krieg an. Sie begann 1973 in Helsinki mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). . Die USA, Kanada, sowie alle europäischen Staaten diskutierten mit der Sowjetunion Fragen der europäischen Sicherheit. Den neutralen und blockfreien Staaten fiel als Vermittler eine wichtige Rolle zu. Österreich hat sich vor allem in humanitären Fragen sehr erfolgreich positioniert. Nach zweijähriger Verhandlung konnte die Konferenz mit den Schlussakten von Helsinki abgeschlossen werden. Erstmals wurden darin grundlegende Prinzipien der kooperativen Sicherheit formuliert.

Mit dem Ende des kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Paktes wurde im November 1990 bei einem Gipfeltreffen der KSZE in Paris die Zeitenwende zum Frieden mit der Charta von Paris verkündet: „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden.“ Die NATO ist in der Charta nicht erwähnt, weil eine kooperative Sicherheit keine Militärbündnisse braucht. Die KSZE wurde in der Folge zur Organisation für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien. Wieder hat sich die Neutralität als Ort der Begegnung bewährt. Die OSZE bot alle Voraussetzungen für eine kooperative Sicherheitsarchitektur, die als regionale Abmachung nach Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen, einen Friedensraum von San Francisco bis Wladiwostok begründet hätte. Dieser Traum fand 2014 mit dem Putsch in der Ukraine sein jähes Ende. Die Entscheidung der neuen Regierung, die politische Neutralität aufzugeben und statt dessen die Mitgliedschaft in der NATO anzustreben, entfachte einen Bürgerkrieg, der eine Spirale der bewaffneten Konfrontation in Gang setzte.

Die regelbasierte Weltordnung

Der Wunsch osteuropäischer Staaten ihre neue Freiheit durch einen Beitritt zur NATO abzusichern und das Bestreben der USA Russland weiter zu schwächen, ließen alte Fragen europäischer Machtpolitik wieder aufleben. Das neue Europa verlieh der NATO mit der Ausdehnung nach Osten neuen Schwung. Die „NATO-neu“ bereitete sich im Einklang mit der amerikanischen Sicherheitsstrategie auf weltweite Kriseneinsätze, sogenannte „out of area“ Einsätze vor. Die OSZE verlor an Bedeutung, das Mißtrauen zwischen NATO und Russland wuchs. Die Abkommen zur Rüstungskontrolle wurden nach und nach gekündigt oder still gelegt. Die Kündigung des Intermidiate Range Nuclear Forces Treaty (INF-Vertrag), die 2019 durch Präsident Trump in seiner ersten Amtszeit erfolgte, war ein verheerender Schlag für die Sicherheit Europas. Dieser Vertrag hatte die Vernichtung aller Raketen mit einer Reichweite bis zu 5.500 km bewirkt und somit die Gefahr eines Raketenkrieges in Europa beseitigt.
Niemand spricht mehr von der Achtung der Prinzipien der Vereinten Nationen, die im EUV als Leitlinie des politischen Handelns der EU festgeschrieben sind. Stattdessen wird auf die Aufrechterhaltung der „regelbasierten Weltordnung“ gepocht, von der niemand weiß, wer ihre Regeln bestimmt. Soll damit der Vorrang des Westens fest geschrieben werden?
So wie es Joseph Borrell, der Außenbeauftragte der EU formuliert hat: „Wir sind ein Garten, der Rest der Welt ist ein Dschungel“. Oder verbirgt sich dahinter die Missachtung der Interessen anderer Völker. Friede durch Stärke statt kooperativer Sicherheit.

Der strategische Kompass zeigt auf Krieg

Der Strategische Kompass stellt einen Aktionsplan für die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bis 2030 dar. Die EU muss kriegstüchtig werden, um seine Vision zu verbreiten und seine Interessen zu verteidigen. Sie ist entschlossen die europäische Sicherheitsordnung zu verteidigen, in dem sie die Ukraine in ihrem Widerstand gegen die grundlosen und ungerechtfertigte militärische Aggression Russlands unterstützt. Eine stärkere und fähigere EU wird einen Beitrag zur transatlantischen Sicherheit leisten und bildet eine Ergänzung zur NATO, die für ihre Mitglieder das Fundament der Verteidigung bleibt.

Warum die EU militärisch aufgerüstet werden soll um eine Ergänzung zur NATO zu bilden ist unverständlich. Die vielzitierte strategische Autonomie wird gar nicht mehr angestrebt.
Die EU bleibt ein politischer Zwerg unter der Dominanz der NATO. Geht es nach dem strategischen Kompass möchte die EU nun gemeinsam mit der NATO eine europäische Sicherheitsordnung mit militärischen Mitteln herstellen, die sie nach der Zeitenwende zum Frieden mit diplomatischen Mitteln nicht verteidigen konnte. Der strategische Kompass ist ein geopolitischer Irrweg, der sich der Tatsache verschließt, dass eine europäische Sicherheitsordnung ohne oder gegen Russland keinen dauerhaften Frieden bringt, sondern die Neuauflage des kalten Krieges ist. In dieser Lage ist die Frage berechtigt, ob der strategische Kompass mit der Grundidee der EU noch vereinbar ist. Die Entscheidung dieser Frage ist für die Art der Mitwirkung am strategischen Kompass und für die neutralitätspolitische Glaubwürdigkeit Österreichs von grundlegender Bedeutung.
Als einzige selbständige Kraft ist der Aufbau einer EU-Schnelleingreifkapazität in einer Personalstärke von 5.000 Personen vorgesehen, die selbständige zivile und militärische GSVP- Missionen ermöglichen. Eine Beteiligung Österreichs ist an diesen Missionen mit der Neutralität vereinbar, wenn sie unter einem Mandat der Vereinten Nationen erfolgen.

Die fortschreitende Aushöhlung der Neutralität

Der Verein Aufbruch Österreich hat schon im Oktober 2023 mit der Initiative Engagierte Neutralität in einem öffentlichen Appell die Bundesregierung und das Parlament aufgefordert eine weitere Aushöhlung des Kernbestandes der Neutralität nicht mehr zuzulassen. Der Umgang Österreichs mit seiner Neutralität erinnert an die Renovierung eines denkmalgeschützten Gebäudes. Die Fassade bleibt erhalten aber dahinter wird alles, vom Volk unbemerkt, umgebaut. Man bekennt sich wortreich zur Neutralität, ohne sie gegenüber der EU ernsthaft zu vertreten. Man will ein verläßlicher Partner sein, der alle Maßnahmen der GASP ohne Widerspruch solidarisch mitträgt. Das Regierungsprogramm der derzeitigen Bundesregierung setzt das Doppelspiel unverändert fort. Wesentlich weiter geht die Außenministerin Meinl-Reisinger. Für sie ist die Neutralität nur mehr militärischer Natur. Als solche biete sie keinen Schutz und man sollte offen über einen NATO Beitritt sprechen, den die NATO sei ein Verteidigungsbündnis, das Schutz biete.

Die österreichische Neutralität nur militärisch zu deuten greift zu kurz. Sie ist mehr als ein sicherheitspolitisches Konzept zum Schutz des Staates. Die unerschütterliche Zustimmung der Bevölkerung ist nur erklärbar, wenn man den Wert der Neutralität in allen ihren Dimensionen, zivilisatorisch, militärisch und friedenspolitisch begreift.

Der zivilisatorische Fortschritt der immerwährenden Neutralität

Für Österreich ist die Neutralität ein Neuanfang der nach Abschluss des Staatsvertrages begonnen hat. Sie wurde zur österreichischen Identität, zum Symbol der Souveränität und Überlebensfähigkeit aus eigener Kraft. Sie ist der Ursprung eines Bewusstseins der Eigenstaatlichkeit, das es vorher in der Form nie gegeben hat. Die immerwährende Neutralität ermöglichte es Österreich eine wichtige Rolle für das friedliche Zusammenleben der Völker zu spielen, die uns mit Stolz erfüllte. Sie steht im Einklang mit den Idealen der Vereinten Nationen, die gegründet wurden um künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren. Die Aufgabe der Neutralität oder ihre Aushöhlung bis zur Unkenntlichkeit wäre ein zivilisatorischer Rückschritt. Sie ist eine überzeugende Staatsidee, hinter der aus guten Gründen 80% der Bevölkerung stehen.

Der sicherheitspolitische Vorteil der wehrhaften Neutralität

Die wehrhafte Neutralität verringert das Risiko, in Konflikte oder Kriege anderer Staaten hineingezogen zu werden. Neutralität bedroht niemand und sie wird von niemanden bedroht. So ist es der Schweiz gelungen sich 200 Jahre aus Kriegen heraus zu halten. Sie kann diesen sicherheitspolitischen Vorteil nutzen, wenn sie wehrhaft ist. Die wehrhafte Neutralität hat folgende Aufgaben zu bewältigen:

  • Sie darf in Europa keine Zone der Unsicherheit sein
  • Sie darf für andere keine militärische Bedrohung darstellen
  • Sie muss allen Kriegsparteien die Nutzung des Staatsgebietes verwehren
    Diese Aufgaben können am besten von einem starken Milizheer, so wie es unsere Verfassung vorsieht, erfüllt werden. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass die Infanterie, insbesondere durch den Einsatz von Drohnen, wieder enorm an Kampfkraft gewonnen hat. Sie ist der eiserne Würfel der Strategie, der überlegene Kriegstechnik unterlaufen kann, wenn sie in ausreichender personeller Stärke vorhanden ist. Ohne verpflichtende Truppenübungen bleibt jede Miliz Flickwerk. Eine starke Miliz, ergänzt mit Der wehrhafte neutrale Staat ist kein Trittbrettfahrer, sondern ein berechenbarer Partner der europäischen Sicherheit und zugleich der wirkungsvollste Beitrag zur GSVP.

Der friedenspolitische Nutzen einer glaubwürdigen Neutralität

Die glaubwürdige Neutralität hat den Vorteil einen ungetrübten Blick auf die Ursachen eines Konflikts bewahren zu können. Das erfordert einen sicherheitspolitischen Weitblick der immer das Ganze im Auge behält. Jeder Konflikt kann dauerhaft nur durch die Beseitigung der Konfliktursachen gelöst werden. Das ist die Aufgabe der Diplomatie zu der die guten Dienste neutraler Staaten einen nützlichen Beitrag leisten können.
Österreich hat stets eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik betrieben. Diese Politik dürfen wir in der EU nicht aus den Augen verlieren. Wien ist als Sitzstaat der Vereinten Nationen und der OSZE ein Brennpunkt der Diplomatie. Diesen unschätzbaren Vorteil, diese einmalige Stellung innerhalb der EU, darf Österreich nicht mutwillig untergraben.
Niemand verlangt von uns, dass wir übereifrig in den Chor der Kriegstreiber einstimmen.
Es nützt auch niemanden künftige Verhandlungspartner durch unangemessene Sprache zu beleidigen. Als neutraler Staat sollten wir uns so verhalten, dass wir zum richtigen Zeitpunkt für gute Dienste zur Verfügung stehen können.

Die wehrhafte Neutralität im Regierungsprogramm

Das Regierungsprogramm legt das Schwergewicht nicht auf den Aufbau einer eigenständigen glaubwürdigen Selbstverteidigung sondern auf die Beitragsleistung zum strategischen Kompass.

Zitat: „Das Bundesheer wird für größtmögliche Kooperation im Rahmen des strategischen Kompass konzipiert. Zur Krisenbewältigung an den europäischen Außengrenzen und darüber hinaus strukturiert Österreich für die Aufgaben der GSVP seine Streitkräfte in hochmobile EU-interoperable Einheiten, insbesondere als militärischen Solidarbeitrag zur GSVP. Gleichzeitig wird das Entsenderegime an die sich aus dem strategischen Kompass der EU ergebenden Notwendigkeiten angepasst werden.

Zitat: Die Teilnahme an der European Sky-Shield Initiative (ESSI) wird konsequent fortgesetzt. Die Beschaffung von Langstrecken-Luftabwehrraketensystemen wird in den Aufbauplan aufgenommen. Dazu soll zusätzlich zum Aufbauplan 2032+ ein Vorbelastungsgesetz beschlossen werden“. Positiv zu bewerten ist, dass der Aufbauplan 2032+, nach Jahren der Unterfinanzierung des Bundesheeres, eine beachtliche Trendwende am Materialsektor bewirkt. Für die personelle Stärkung der Miliz sind hingegen nur Maßnahmen zum Anreiz von Freiwilligen vorgesehen.

Das Bundesheer bereitet sich schon seit 1995 in der Partnership for Peace (PfP) darauf vor mit europäischen NATO-Staaten gemeinsam operieren zu können. Die Entsendung von Soldaten ins Ausland ist an ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gebunden. Die beabsichtigte Anpassung des Entsenderegime wäre mit der Neutralität nicht vereinbar, wenn diese Voraussetzung geändert würde.

Die Beschaffung von Langstrecken-Luftabwehrraketensystemen mit einer Bekämpfungshöhe bis zu 40 km wirft ebenfalls Fragen auf, die noch nicht ausreichend beantwortet sind. Wie wahrscheinlich ist die Bedrohung Österreichs durch einen Raketenkrieg? Kann Österreich durch die Stationierung von Langstreckenraketen erst recht zum Zielgebiet werden? Ist die Stratosphäre noch österreichisches Hoheitsgebiet?

Wird durch den Sky-Shield ein kostspieliges Wettrüsten in Europa eingeleitet ohne die Sicherheit glaubhaft zu erhöhen?

Die Friedenspolitik im Regierungsprogramm

Eine mutige engagierte Friedenspolitik sucht man im Regierungsprogramm vergeblich.

Nach einem Waffenstillstand in der Ukraine, könnte Österreich eine nützliche Rolle spielen. Schon bei der Überwachung eines Waffenstillstandes, könnte Österreich, als langjähriger Truppensteller von Friedenstruppen, seine Erfahrung einbringen. Das Einfrieren des Konfliktes ist nur ein Zwischenschritt. Das Ziel ist eine europäische Friedensordnung, die nicht nur der Ukraine, sondern ganz Europa einen dauerhaften Frieden sichert. Dazu braucht es Verhandlungen mit allen betroffenen Staaten, da nur so ein umfassender Ausgleich aller Interessen gefunden werden kann. Der geeignete Rahmen dafür ist mit der OSZE bereits vorhanden. Eine Friedenskonferenz in Wien, am Sitz der OSZE unter Beteiligung Chinas, könnte diese schwierige Aufgabe in Angriff nehmen.

Wien war schon einmal Gastgeber eines Friedenskongresses, der Europa über 100 Jahre Frieden bescherte. Österreich sollte darauf vorbereitet sein zum zweiten Mal als Gastgeber einer europäischen Friedenskonferenz zu dienen. Engagierte Neutralität sollte nicht sklavisch dem sicherheitspolitischen Irrweg der Fortführung des Krieges folgen, sondern schon jetzt die Fühler für eine friedliche Lösung ausstrecken.

Schlussbemerkung

Der strategische Kompass beendet den Traum einer unabhängigen EU mit eigener Stimme in der Welt. Die GASP und die GSVP folgen der Logik des kalten Krieges, in dem die NATO und die Schutzmacht USA unverzichtbar sind. Die österreichische Regierung will ein verlässlicher Partner in der EU sein, der alle Maßnahmen solidarisch mitträgt. Sie bekennt sich wortreich zur Neutralität, setzt aber gleichzeitig ihre Aushöhlung weiter fort.

Die im Regierungsprogramm vorgesehene größtmögliche Kooperation im Rahmen des strategischen Kompasses wird die Neutralität weiter beschädigen. Die Bevölkerung lehnt diesen neutralitätspolitischen Irrweg mehrheitlich ab. Sie möchte, dass unsere Neutralität jener spezifische Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit ist, den Alois Mock am Beginn der Beitrittsverhandlungen angekündigt hat. Zum richtigen Zeitpunkt, mit Mut und diplomatischem Geschick, die Gründungsidee der EU wieder in den Vordergrund zu stellen, könnte für den Frieden mehr bewirken als der neue kalte Krieg.

Verzeichnis der Dokumente:

Vertrag über die Europäische Union
Charta von Paris
Appel Aufbruch Österreich
Strategischer Kompass
Regierungsprogramm

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