Wehrhafte Neutralität schützt
Die Außenministerin will eine Debatte über einen Beitritt zur NATO anstoßen, denn nur die NATO könne Schutz bieten. Die überwältigende Mehrheit der Österreicher sieht das anders. Es gibt gute Gründe an der Neutralität festzuhalten.
Wenn die Außenministerin die Neutralität öffentlich in Frage stellt, schweigen Kanzler und Vizekanzler. Die Botschaft ist eindeutig. Sie soll still begraben werden. Was Sache ist, kann man einem Interview entnehmen, in dem Altkanzler Wolfgang Schüssel unlängst mit sichtlichem Stolz festhielt: „Wir haben gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Viktor Klima die Verfassung geändert. Dadurch haben wir ermöglicht, dass wir im Rahmen eines europäischen Mandats die Beistandsverpflichtung, die wir im Artikel 42(7) im Lissabon Vertrag übernommen haben, vollkommen erfüllen können. Mandate der UNO und der EU hebeln die Neutralität aus. Das muss man ganz klar kommunizieren“.
Die Regierung spricht von einem klaren Bekenntnis zur Neutralität im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Sie kommuniziert damit versteckt, was Schüssel offen ausspricht. Diese Auslegung der Verfassung steht jedoch auf tönernen Füßen. Der Artikel 23j B-VG, auf den sich Schüssel bezieht, regelt die Teilnahme an der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP). Im Wortlaut des Artikels wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die GASP die Achtung der Grundsätze der Vereinten Nationen vorsieht. Daraus folgt, dass die Neutralität von Mandaten der EU, die den Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen, nicht berührt wird. Das universelle Völkerrecht hat eindeutig Vorrang vor dem Recht der EU. Das müsste die Regierung ganz klar kommunizieren und neutralitätspolitisch beachten.
Der Dreiklang der Sicherheit
Sicherheit entsteht in einem harmonischen Dreiklang aus innerer Widerstandsfähigkeit, aus umsichtiger Diplomatie und aus militärischer Selbstverteidigung. Ein Dreiklang entwickelt seine harmonische Kraft nur im Zusammenspiel aller Töne. Wird ein Tonschlecht gespielt, ist die Harmonie verloren. Jeder Staat muss seinen eigenen Dreiklang finden. Dauernd neutrale Staaten wie die Schweiz und Österreich haben günstige Voraussetzungen, diesen Dreiklang mit Hilfe ihrer Neutralität erfolgreich zu gestalten.
Die innere Widerstandsfähigkeit wird maßgeblich vom Wehrwillen der Bevölkerung geprägt. Die Neutralität verkörpert eine Staatsidee, eine unverwechselbare Identität, eine Eigenständigkeit, auf die man stolz sein kann. Sie stärkt somit den inneren Zusammenhalt. So ist laut Umfragen der Wehrwille in der Schweiz beinahe doppelt so hoch wie im übrigen Europa. Als Österreich zur Zeit des kalten Krieges eine glaubwürdige Neutralitätspolitik verfolgte und mit einem starken Milizheer seine Verteidigung in die Hände der Bürger legte, war der Wehrwille ähnlich hoch wie in der Schweiz.
Neutrale Staaten verfolgen im eigenen Interesse eine umsichtige Diplomatie. Eine engagierte Neutralitätspolitik, die dem Frieden dient, bietet für die internationale Gemeinschaft gute Dienste und stellt Orte der Begegnung für friedliche Konfliktlösungen zur Verfügung. Umsichtige Friedensdiplomatie des Neutralen verringert das Risiko in einen Krieg hineingezogen zu werden. Hingegen wäre man als Mitglied in einer Militärallianz bei jedem Konflikt der Allianz automatisch Konfliktpartei.
Eine glaubwürdige militärische Selbstverteidigung ist der sichtbarste Beitrag zur Sicherheit. Der Schweiz ist es gelungen, sich 200 Jahre lang aus Kriegen heraus zu halten. Sie hat den Dreiklang gefunden, der sie schützt. Warum sollte Österreich das nicht können?
Die militärische Selbstverteidigung muss glaubwürdig sein
Die Befürworter eines Beitritts zur NATO behaupten, Österreichs könne sich nicht alleine verteidigen. Sie gehen davon aus, dass Russland schon in den nächsten Jahren die NATO angreifen könne. Dafür gibt es zwar derzeit keinerlei Hinweise, aber Russland führe bereits einen hybriden Krieg gegen die NATO und die EU. Eine hybride Kriegführung zeichnet sich dadurch aus, dass es sich zumeist um nichtmilitärische Maßnahmen handelt und dass der Angreifer nicht erkannt werden möchte. Eine Kooperation zur Bekämpfung hybrider Kampfmaßnahmen ist neutralitätsrechtlich unbedenklich und kein Grund, der NATO beizutreten.
Welche Chancen hätte Österreich, sich aus einem offenen Krieg zwischen der NATO und Russland herauszuhalten? Die moderne Kriegführung mit Drohnen macht die Infanterie wieder zu einem effektiven Kampfverband. Hätten wir, so wie im Kalten Krieg, ein Milizheer von 200.000 Mann, das die Kriegführung mit Drohnen beherrscht, stünden unsere Chancen gut. Eine eigenständige Verteidigung des Luftraumes, insbesondere gegen illegale Überflüge, ist durch die Beschaffung von Luftabwehrraketen mittlerer Reichweite ebenfalls erfolgversprechend. Eine Beschaffung von Luftabwehrraketen großer Reichweite macht ohne operative Beteiligung am Sky Shield wenig Sinn. Sie wäre mit der Neutralität nicht vereinbar und brächte keinen Sicherheitsgewinn, da Österreich bei einem Raketenkrieg automatisch Kriegspartei und Ziel für Raketenangriffe wäre.
Eine glaubwürdige Selbstverteidigung wäre ein effizienter Beitrag zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), weil Österreich keine Zone der Unsicherheit wäre.
Die Grenzen der Solidarität
Die EU befindet sich auf einem Irrweg, der mit der Gründungsidee, Friede in Europa und eigene Stimme in der Welt zu sein, nicht mehr vereinbar ist. Dieser Irrweg nahm seinen Lauf, als sich die EU zu schwach erwies, um die Chancen der Charta von Paris, die ein neues Europa verkündete, zu nutzen. Statt einen Friedensraum von San Francisco bis Wladiwostok zu schaffen, gilt es nun kriegstüchtig zu werden, um den ewigen Feind Russland zu bekämpfen.
Die EU sucht ihr Heil in der NATO und begibt sich damit in die transatlantische Abhängigkeit von den USA. Wer sich nicht selbst verteidigt, ist nicht Herr im eigenen Haus. Jetzt sollen Rüstungsinvestitionen in Milliardenhöhe für Abhilfe sorgen. Für eine eigenständige GSVP ist das nicht nötig. Friede mit Russland und die Rückkehr zur Rüstungskontrolle ersparen ein sinnloses Wettrüsten. Das Friedensprojekt EU verzichtet jedoch auf Diplomatie und beschädigt damit den Dreiklang der Sicherheit. Wie lange noch will Österreich an diesem Irrweg solidarisch mitwirken? Solidarität ist keine Einbahnstraße in den Irrtum. Deshalb muss die Einstimmigkeit in der GASP bleiben.
Die Neutralität für den Frieden nutzen
Die Regierung bekennt sich in ihrem Regierungsprogramm klar zur Neutralität und zur EU als größtes Friedensprojekt aller Zeiten. Was treibt die Außenministerin an, die Neutralität schlecht zu reden? Was könnte Österreich in der NATO bewirken? Die Sicherheit in Europa braucht den harmonischen Dreiklang. Die NATO und die EU haben die Diplomatie verstummen lassen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien muss wiederbelebt werden. Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle, Verifikation und Friede mit Russland sind der Weg zu einem sicheren Europa. Das wäre eine außenpolitische Aufgabe, die im Zentrum der Politik des neutralen Österreich stehen müsste.
Was 1975 mit dem Helsinki Prozess mitten im Kalten Krieg möglich war, sollte 50 Jahre später unser Ansporn sein. Würde die Außenministerin ihre Energie für die Friedensdiplomatie verwenden, würde sie sehr rasch entdecken, dass die Neutralität eine Trumpfkarte ist, auf die Österreich nicht verzichten darf.


